Claudia Neumann, 33, ist Krebspatientin – beziehungsweise, sie war es, denn seit kurzem gilt sie trotz einer sehr schlechten Prognose als geheilt. Was ihr während ihrer Leidens- und Genesungsgeschichte auffiel: die Rat- und Hilflosigkeit vieler Ärzt*innen, angesichts einer Krebserkrankung in so jungem Alter – und die Versorgungsdefizite, wenn es um die spezifischen Belange junger Erwachsener mit Krebs geht.
Frau Neumann, als Sie Ihre Diagnose erhielten, waren Sie 28 Jahre alt. Dass Sie an Krebs erkranken könnten, daran haben Sie damals wahrscheinlich nicht gedacht.
Nein, obwohl die Symptome im Vorfeld eigentlich eindeutig waren: Stuhlunregelmäßigkeiten, Blut im Stuhl, Gewichtsabnahme. Aber ich habe das als Begleiterscheinungen der sehr stressigen Situation abgetan, in der ich damals lebte. Irgendwann ging ich doch zu meiner Hausärztin, die nahm diese Symptome dann sehr ernst und schickte mich sofort zur Koloskopie – was nach allem, was mir mittlerweile zugetragen wird, nicht selbstverständlich ist. Im April 2015 erhielt ich dann die Diagnose Kolorektalkarzinom im metastasierten Stadium. Der Arzt sprach von einer 5-Jahres-Überlebenschance von unter 30 Prozent.
Wenn Sie auf Ihre Patient Journey zurückblicken, was ist Ihnen im Rahmen der Versorgung besonders aufgefallen?
Die Rat- und Hilflosigkeit vieler Ärztinnen und Ärzte angesichts einer so ausgedehnten Krebserkrankung bei einer 28-jährigen Frau ohne Vorgeschichte. Das gilt für Hausärzte und Fachärzte im niedergelassenen Bereich ebenso wie für die Ärzte in der Klinik. Der zweite große Punkt, der mir auffiel, ist das Entlassmanagement. Die eigentlich gute stationäre Versorgung endete in meinem Fall völlig abrupt. Die Nachsorge war nicht organisiert, ich bekam noch nicht einmal Informationen dazu, wie es nun weitergehen sollte. Ich bekam lediglich einen Entlassbrief zusammen mit der Aussage, ich könnte jetzt gehen. Ich fragte dann noch, was mit einer Anschlussheilbehandlung, einer Rehamaßnahme sei. Und dann schaute mich der Arzt an und sagte: "Aber Sie sind doch noch so jung!"
Was haben Sie darauf entgegnet?
Dass das doch gerade der Grund sein sollte, dafür zu sorgen, dass ich wieder in eine Erwerbstätigkeit komme. Ich beschloss dann, mich selbst darum zu kümmern. Als ehemalige Krankenschwester wusste ich Bescheid, worauf es ankommt. Aber Patienten ohne dieses Wissen erhalten womöglich nicht die Nachsorge, die sie bräuchten.
Worin bestehen die Unterschiede, wenn man im jungen beziehungsweise im höheren Erwachsenenalter an Krebs erkrankt?
Bei noch jungen Erwachsenen steht plötzlich die gesamte Lebensplanung infrage. Wie geht es mit der beruflichen Laufbahn weiter, werde ich überhaupt noch arbeitsfähig sein, kann ich noch Kinder bekommen, was ist mit den Langzeitfolgen der Erkrankung und der Therapie? Gibt es Angehörige, Partner, Eltern, die ebenfalls begleitet werden müssen? Das sind Fragen, die sich bei älteren Krebspatientinnen und -patienten nicht mehr oder nicht mehr in dem Maße stellen, wie bei jungen.
In welchen Bereichen sind Verbesserungen besonders notwendig?
Ganz oben steht für mich die wirtschaftliche Absicherung. Man kann nämlich sehr schnell durch das soziale Netz rutschen und in eine Abwärtsspirale geraten, egal ob man chronisch an Krebs erkrankt ist oder, wie ich, geheilt wird.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die psychologische Begleitung, nicht nur nach der Diagnose und während der Therapie, sondern auch auf dem Weg zurück in ein normales Leben. Jahrelang hat sich alles um die Erkrankung gedreht, und dann sagt plötzlich einer, man ist jetzt gesund. Und dann muss man sich in seine einstigen Rollen wieder einfinden, als Mutter, als Partnerin, als Arbeitnehmerin. Das ist nicht einfach.
Ein dritter für mich sehr wichtiger Punkt ist die Betreuung der Angehörigen. Es ist beispielsweise für Eltern sehr schwierig, damit fertig zu werden, dass ihr Sohn oder ihre Tochter womöglich vor ihnen stirbt. Ich habe das auch bei meinen Eltern so erlebt. Deren Angst ist etwas, was einen zusätzlich sehr belasten kann.
Sie engagieren sich bei der Deutschen Stiftung junge Erwachsene mit Krebs auch für fruchtbarkeitserhaltende Maßnahmen.
Das ist für Krebspatientinnen und -patienten mit Kinderwunsch ebenfalls ein sehr wichtiges Thema. Bei meinem Engagement geht es darum, dass Maßnahmen wie die Kryokonservierung von Keimzellen von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet werden. Es geht hier darum, Menschen die Verwirklichung ihres Lebensentwurfs zu ermöglichen. Meines Erachtens sollten fruchtbarkeitserhaltende Maßnahmen daher als selbstverständlicher Teil der Therapie angeboten werden. Das wird voraussichtlich noch in diesem Jahr der Fall sein.
Welche Botschaft möchten Sie den Menschen, die Krebspatienten betreuen, noch mit auf den Weg geben?
Dass sie mit der Fließbandarbeit aufhören und sich klarmachen sollen: Es sind immer Individuen, die ihnen gegenübersitzen; und dass sie deshalb nicht immer das Schema F anwenden und über die Köpfe der Betroffenen hinweg entscheiden sollten. Aus der eigenen Erfahrung heraus wünsche ich mir zudem mehr Gespür in der Kommunikation. Manchmal sind sich Ärzte einfach nicht bewusst, was sie bei ihrem Gegenüber auslösen.